Dienstag, 12. Oktober 2010

Die Harfe

Der kleine Junge hatte wieder einmal
geweint. - So ganz für sich, und leise,
wie er das nur selten tat.
Er kauerte auf dem Boden im Wohnzimmer.
Die Eltern waren nicht da; doch das war gut so.
Er war mit seinen Träumen allein.
Immer war er mit seinen Träumen allein.
- Auch, wenn er sie erzählte, denn er glaubte
nicht, daß man ihm wirklich zuhörte.
Er schaute auf die Eichenkommode.
Dicke runde Knäufe waren an den Schubladen,
und an der kleinen Tür war ein Messingschloss,
das wie ein kleiner Drache aussah.
- Er ging in die Küche und holte Gummibänder.
- "Ob das wohl klappt?"
- Zurück im Wohnzimmer spannte er die Gummis
über die Knäufe. - Auch zu dem Schlüssel, der in
dem kleinen Drachen steckte.
Dann nahm er ein Kissen vom Sofa
und kuschelte sich vor die Kommode.
- Und dann machte er Musik.
Es ging wirklich!
- Nur für sich machte er die,
und zupfte an den Saiten.
Die Kommode schien größer und größer
zu werden; und der Nagelkopf
im Auge des kleinen Drachen blitzte!
- So war es schön!
- Die Musik verstand ihn!
Seine heimliche Harfe war das!
Sie konnte mit ihm weinen!
Nach seinem Spiel löste er die Gummibänder
und brachte sie in die Küche zurück.
- "So!" - Auch das Kissen kam an seinen Platz
auf dem Sofa.
- Und dann verkroch er sich in sein Bett.
Und in seinem Kopf vibrierte der Klang
der Harfe, seiner Harfe!
- Und der kleine Drache nickte ihm freundlich zu.

©miro

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