Samstag, 17. Februar 2007

Seeblick

Zimmer mit Seeblick.
In meinem
Armutsurlaub habe ich ein Quartier gefunden. Baustellenumsäumt, straßenflankiert, aber mit Seeblick. "Fünf Minuten bis zum Strand." - Ein "Hartzschnäppchen". Aus der Distanz bietet sich die Gelegenheit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Ja der Blick ist schön. Rechts vom Fenster die Bibliothek ein langgestrecktes Tonnengewölbe, ein paar Grünanlagen, ein großer Platz und links schließen sich verspielt neoklassizistische Häuserzeilen an. Und geradeaus ist der See. Eigentlich ist es nur eine künstliche Verlängerung des Sees. Ein riesiges Becken mit künstlicher Insel in der Mitte, zu der zahlreiche Brücken führen. Gleichmäßig verteilt an der Einfassung und
den Brücken dieser Anlage sind kleine Leuchten. - Etwas Romantik darf abends auch sein. - Was schon wieder eine Zigarette? - Die ist eigentlich nicht drin in meinem Urlaubsgeld. - Und ich sollte hier auch nicht einfach Geschichten oder Gedichte fabrizieren, sondern Bewerbungen schreiben. - Das hat mein Arbeitgeber so ins Pflichtprogramm aufgenommen. - Ja Bewerbungen schreiben - Arbeit finden wäre besser.
Oder doch nicht? - Ich komme beruflich aus dem sozialen Bereich. - Schwerpunkt "Betreutes Wohnen". - Hüter meines Bruders oder meiner Schwester - guter Hirte vielleicht. - Nein so gut war es mit dem Hirten nicht. - Und für die Gesellschaft waren die Schafe schwarz. Nun bin ich selbst ein schwarzes Schaf - betreut durch die Arbeitsagentur. -
Management für Überlebenskünstler. - Ich bin ein schwieriger Überlebenskünstler - gelte als schwer vermittelbar aus Altersgründen.
- Meine Arbeitsbemühungen können jedoch nicht geleugnet werden. "War stets bemüht" - trozdem noch keine Arbeit. - Aber ein Zimmer mit Seeblick habe ich. Ein Zimmer mit schönem Ausblick auf künstliche Gestaltung. Meine Situation ist auch künstlich irgendwie, das passt.
Schön irgendwie auch, aber unnatürlich. - Oder meldet sich jetzt gerade meine gutbürgerliche Erziehung? Ich schaue aus dem Fenster. Es ist ein buntes Bild: Bibliotheksbesucher, Familien, Spaziergänger, Kinder.
- Und ganz viele Wasservögel. Eifrig gefüttert, trotz der Verbotsschilder.
Denen ist das egal, die drängen sich regelrecht auf um ein paar Brotstücke zu ergattern. - Mir schmeckt die Kost nicht, die mir gereicht wird; - auch nicht in einem Zimmer mit Seeblick.


© miro

Keine Kommentare: